Pascal Meiser: Bundesregierung vergibt Riesenchance im Kampf gegen Lohndumping in Europa

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der überarbeiteten Entsenderichtlinie ist in weiten Teilen missglückt und bleibt somit hinter dem rechtlich Möglichen zurück. Bundesarbeitsminister Heil droht eine Riesenchance zu vergeben, um grenzüberschreitendes Lohndumping wirksam zurückzudrängen und inländische Unternehmen vor Schmutzkonkurrenz zu schützen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass die unwürdigen Arbeitsbedingungen in den industriellen Schlachtanlagen unseres Landes endlich eine größere Aufmerksamkeit erfahren. Doch das, was ausländischen Beschäftigten dort tagtäglich widerfährt, ist leider nur die Spitze des Eisberges. Ob auf deutschen Baustellen, bei den Paketzustellern oder auch im Schiffbau – seit mehr als 20 Jahren erleben wir gerade bei der grenzübergreifenden Entsendung von Arbeitnehmern systematisches Lohndumping und systematische Ausbeutung. Wir als Linke fordern schon lange, dass damit endlich Schluss gemacht wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit da keine Missverständnisse aufkommen: Wir reden nicht über das Recht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus anderen europäischen Ländern, hier zu arbeiten und sich zu hiesigen Bedingungen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Da machen auch wir als Linke keinerlei Abstriche. Wir reden darüber, dass immer mehr Beschäftigte von ausländischen Unternehmen, meist mit Sitz in Osteuropa, in den Heimatländern angeheuert, dann über Monate hinweg für Dumpinglöhne nach Deutschland entsandt werden. Wenn man sich dann noch das extrem niedrige Lohnniveau in Ländern wie Rumänien oder Bulgarien anschaut, liegt es auf der Hand, dass das ohne klare Regeln und Kontrollen fast zwangsläufig zu Problemen führt. Hiesige Lohnstandards geraten ins Rutschen, und Tarifverträge werden umgangen. In die Röhre schauen am Ende auch diejenigen Unternehmen – mit Blick auf die FDP: das sollten Sie sich mal anschauen –, die hierzulande ordentlich nach Tarif bezahlen. Es ist wirklich skandalös, dass dieser Entwicklung so lange tatenlos zugesehen wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

Lange Zeit konnte man zugegebenermaßen mit einer gewissen Berechtigung lamentieren, dass das europäische Recht es nicht erlaube, ein solches Lohndumping umfassend zu unterbinden. Doch mit dieser Ausrede – das muss jedem hier klar sein – ist bei diesem Thema jetzt Schluss. Mit der 2018 beschlossenen Reform der europäischen Entsenderichtlinie liegt es nunmehr in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass für die europaweit rund 2,3 Millionen entsandten Beschäftigten endlich gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Doch, Herr Bundesarbeitsminister, mit dem, was Sie uns heute hier als großen Wurf zu verkaufen versuchen, wird die Bundesregierung ihrer Verantwortung bei Weitem nicht gerecht. Mit der neuen Entsenderichtlinie wurde Ihnen, Herr Heil, eine hervorragende Möglichkeit zur Stabilisierung des Tarifsystems quasi auf dem Silbertablett präsentiert. Was machen Sie? Sie vergeben eine Riesenchance, die Sie vermutlich so schnell nicht wieder bekommen.

Bevor Sie jetzt den Kopf schütteln, hören Sie sich lieber das vernichtende Urteil an, das beispielsweise die Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt über Ihren Gesetzentwurf fällt. Ich zitiere:

„Wir, die Gewerkschaft der Beschäftigten …, die von Entsendung und der damit oft einhergehenden Ausbeutung und unfairem Wettbewerb besonders betroffen sind, erwarten … eine grundlegende Überarbeitung dieses in weiten Teilen missglückten und teilweise sogar im Widerspruch zum Europarecht stehenden Entwurfes …“

Die Kolleginnen und Kollegen wissen aus der Praxis auf den Baustellen und andernorts nur zu gut, wovon sie reden. Ich sage Ihnen: Hören Sie auf diese Leute, und handeln Sie entsprechend!

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Gerne können Sie auch noch mal detailliert im Antrag meiner Fraktion Die Linke nachlesen, an welchen Punkten Sie Ihren Gesetzentwurf dringend nachbessern müssen. Ich will hier nur einige wenige nennen:

Erstens. Sorgen Sie dafür, dass künftig alle allgemeinverbindlichen Lohntarifverträge ab dem ersten Tag auch für entsandte Beschäftigte gelten!

(Beifall bei der LINKEN)

Warum Sie hier europarechtswidrig regionale Tarifverträge – Herr Schummer, was Sie gesagt haben, stimmt nicht; regionale allgemeinverbindliche Tarifverträge sind ausgeschlossen in dem Gesetzentwurf – in den ersten bis zu 18 Monaten der Entsendung außen vor lassen wollen, ist und bleibt in keiner Weise nachvollziehbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dabei wissen Sie, Herr Heil, doch selbst nur zu genau, dass das deutsche Tarifvertragssystem bis heute in vielen Branchen aus regionalen Tarifverträgen besteht und nicht bloß aus bundesweiten.

Zweitens. Warum begrenzen Sie im Entwurf die Möglichkeit, Tarifverträge über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf entsandte Beschäftigte zu erstrecken, auf Tarifverträge mit maximal drei Entgeltstufen? Ich sage Ihnen: Streichen Sie diese völlig überflüssige Beschränkung, so wie es im Übrigen auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme fordert.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Warum wollen Sie ohne Not die Möglichkeit eröffnen, dass entsandte Arbeitnehmer auch außerhalb eines gerichtlichen Vergleichs auf Ansprüche aus allgemeinverbindlichen Tarifverträgen verzichten? Sie wissen doch nur zu gut, Herr Heil, mit welchen erpresserischen Methoden diese Leute häufig um ihren Lohn geprellt werden. Schaffen Sie hier nicht gleich wieder Schlupflöcher, nur um dann hinterher beklagen zu müssen, dass das Gesetz keine Wirkung zeigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Erhöhen Sie stattdessen die Bußgelder für diejenigen Unternehmen, die sich nicht an die Spielregeln halten, und sorgen Sie somit dafür, dass geltendes Recht künftig auch eingehalten wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Fünftens. Schaffen Sie endlich ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften, damit die Gewerkschaften gerade die Rechte entsandter Beschäftigter effektiver und schneller durchsetzen können, weil die Beschäftigten alleine häufig dazu nicht in der Lage sind.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Anderenfalls existieren berechtigte Lohnansprüche für viele weiterhin bestenfalls auf dem Papier.

Und sechstens. Stoppen Sie auch hier die organisierte Verantwortungslosigkeit. Nehmen Sie für die ordnungsgemäße Zahlung aller Lohnbestandteile – nicht nur des Mindestlohns und der Mindestentgelte – diejenigen mit in Haftung, die von diesem ganzen System am meisten profitieren: die Unternehmen am Ende der Auftragskette, deren Geschäftsmodell maßgeblich darauf beruht, dass andere für sie die Drecksarbeit machen.

Nur so kann es tatsächlich gelingen, Lohndumping und Ausbeutung bei der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung konsequent zu unterbinden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)