Pascal Meiser: Lohndrückern das Handwerk legen – Tarifflucht erschweren und Tarifbindung stärken

22.04.2021 – Tarifverträge sorgen für gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne. Doch immer mehr Unternehmen begehen Tarifflucht, entziehen sich so ihrer sozialen Verantwortung und verschaffen sich schmutzige Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren tarifgebundenen Konkurrenten. DIE LINKE will deshalb der Tarifflucht einen Riegel vorschieben und die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen deutlich erleichtern.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Egal ob bei den Löhnen, bei der Arbeitszeit oder bei den Urlaubstagen: Beschäftigte, die unter den Schutz eines Tarifvertrages fallen, stehen in der Regel deutlich besser da als Beschäftigte, deren Betrieb nicht tarifgebunden ist.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist das!)

Doch aktuell erleben wir, wie sich immer mehr Unternehmen durch Tarifflucht ihrer sozialen Verantwortung entziehen und versuchen, sich mit Dumpinglöhnen schmutzige Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Das alles birgt enormen sozialen Sprengstoff in sich, und es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung hier endlich handelt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Beispiel: Nach Auskunft der Bundesregierung hat sich allein im Einzelhandel die Zahl derjenigen, die unter den Schutz eines Tarifvertrages fallen, innerhalb von zehn Jahren halbiert. War es 2010 noch jeder Zweite, so war es 2019 nur noch jeder Vierte. Das hat handfeste Folgen: Gut 4 Euro die Stunde verdient die Verkäuferin oder die Verräumerin im Supermarkt im Schnitt weniger, wenn für sie kein Tarifvertrag gilt. Ich wiederhole es gerne: Wer es mit dem in der Coronakrise immer so gern bekundeten Respekt für die Verkäuferinnen und Verkäufer ernst meint, muss sich auch dafür einsetzen, dass die Beschäftigten im Einzelhandel anständig bezahlt werden, und zwar ohne Ausnahmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb frage ich die Bundesregierung: Wie lange wollen Sie dieser Entwicklung eigentlich noch zusehen? Was tun Sie, um die anhaltende Tarifflucht zu stoppen? Sie schreiben doch selbst in Ihrem Koalitionsvertrag: Tarifverträge sind ein öffentliches Gut. – Richtig so. Aber handeln Sie dann auch so!

(Beifall bei der LINKEN)

Es wäre ja schon ein kleiner Schritt, wenn Sie die gröbsten Schlupflöcher schließen und bei Unternehmensausgliederungen oder dem Übergang eines Betriebes auf einen neuen Inhaber für die kollektive Fortgeltung des bis dahin geltenden Tarifvertrages sorgen. Wir haben dazu konkrete Vorschläge vorgelegt. Verhalten Sie sich dazu!

(Beifall bei der LINKEN)

Und warum erleichtern Sie nicht endlich die Möglichkeit, Tarifverträge für alle Unternehmen der jeweiligen Branche für allgemeinverbindlich zu erklären?

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Michael Gerdes [SPD])

Nur so können doch auch diejenigen Unternehmen geschützt werden, die einen anständigen Tariflohn zahlen. Und spätestens da sollten doch auch Sie, meine Damen und Herren von der Union, aufwachen bei diesem Thema. Als Sie von der Großen Koalition 2014 mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz

(Bernd Rützel [SPD]: Haben wir den Mindestlohn eingeführt!)

ja auch den Mindestlohn eingeführt haben – gute Sache, viel zu niedrig bis heute; wird Zeit, dass er erhöht wird –,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

haben Sie auch versprochen, dass sich mit diesem Gesetz die Zahl der allgemeinverbindlichen Tarifverträge erhöht.

Ich sage Ihnen, was seitdem passiert ist: Die Zahl der allgemeinverbindlichen Tarifverträge ist weiter in den Keller gerauscht. Waren es 2000 noch über 100 allgemeinverbindliche Tarifverträge und 2014 immerhin noch 39, sind es nach Auskunft der Bundesregierung aktuell nur noch 18. Das ist ein Rückgang um sage und schreibe 80 Prozent im genannten Zeitraum.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unglaublich!)

Ihr Tarifautonomiestärkungsgesetz hat daran nichts, aber auch gar nichts geändert; deshalb muss auch hier jetzt dringend nachgebessert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Linke haben wir heute auch dazu konkrete Vorschläge vorgelegt. Wir wollen, dass es wieder ausreicht, wie bis 2015 üblich, dass alleine eine Tarifvertragspartei einen Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit stellt. Wir wollen durch eine veränderte Zusammensetzung des Tarifausschusses, aber vor allem durch eine andere Form der Beschlussfassung erleichtern, dass Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Es kann nicht sein, dass die Hälfte der Arbeitgeber dort alle Tarifverträge ablehnt, die neu beantragt werden. Damit muss endlich Schluss sein! Wir müssen dafür sorgen, dass, wenn Branchentarifverträge als allgemeinverbindlich beantragt werden, die entsprechenden Anträge auch genehmigt werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Schließlich müssen auch die Kriterien für die Voraussetzungen für den Erlass einer Allgemeinverbindlichkeit klarer gefasst werden, damit keine rechtliche Unklarheit entsteht.

Sie alle werden jetzt sagen: „Das ist Teufelszeug“, aber es wurde auch von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz im letzten Jahr so gefordert. Die Bundesregierung hat bis heute hier nicht gehandelt. Es wird Zeit, dass Sie auf die Arbeits- und Sozialminister der Länder hören und unseren Anträgen folgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)